Marlene Haas
© Lust auf besser leben

Kreativwirtschaft als "Finger in der Wunde" auf dem Weg zur Nachhaltigkeitskultur – Einblicke aus einem Sozialunternehmen

Gastbeitrag von Marlene Haas, Geschäftsführerin der Lust auf besser leben gGmbH

Das gemeinnützige Unternehmen Lust auf besser leben gGmbH verbindet Bildungsarbeit im Rahmen der Agenda-2030-Ziele mit Impulsen aus der Kreativwirtschaft. Die geschäftsführende Gesellschafterin Marlene Haas erklärt anhand zweier Beispiele, was das bedeutet und warum ein Einlassen auf den Prozess wichtig ist.

Die Bundesregierung weist (seit 2017) in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie auf die besondere Rolle von Kunst und Kultur, Kreativwirtschaft und Kulturschaffenden für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele hin. So beschäftigten sich Künstlerinnen und Künstler seit jeher mit dem Verhältnis zwischen Kultur und Natur, mit Dystopie und Utopien, mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen und deren Gestaltung.

Künstlerische, kreative Denkansätze und Gestaltformen können Menschen zu nachhaltigem Handeln ermutigen, können Unangenehmes aufzeigen ohne zu bewerten, und neue Impulse geben. Mittels der kreativen Herangehensweise kann es hierbei gelingen, dass Unbeteiligte respektive vom Thema unberührte Personen einen leichteren Zugang zu Themen finden als durch klassisch-formale Bildungsarbeit.

Im Kontext der hessischen Nachhaltigkeitsziele reihen sich unsere Projekte und Kampagnen in eine Vielzahl von Maßnahmen ein, die kreative Gestaltungsformen für ihre Arbeit nutzen. Die meisten Projekte und Kampagnen setzen auf verschiedene Ansätze und verbinden diese, um die sehr vielfältigen Themen für unterschiedlichste Zielgruppen aufzubereiten.

Ich möchte Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, mehr über die Herangehensweise unserer Arbeit anhand von zwei Beispielen erzählen. Als gemeinnütziges Unternehmen aus Frankfurt am Main verfügen wir über ein sehr heterogenes Netzwerk an Akteurinnen und Akteuren, die uns für ihre Bedarfe in Hinsicht auf Nachhaltigkeit sensibilisieren.

Das bedeutet: Eine oder mehrere Interessengruppen spiegeln uns ihre relevanten Herausforderungen, und wir unterstützen bei der Lösungsentwicklung.

Welcher Rahmen bestimmt mein Produktdesign? – Beispiel "Taschen-Tausch-Stationen"

Bereits 2016 bewirkte die Bundesregierung mit dem Handel eine Selbstverpflichtung zur Abschaffung der kostenfreien Herausgabe von Plastiktüten. Die Umwelt- und Klimafolgen sollten nach ein paar Jahren evaluiert werden, um zu ermitteln, inwiefern diese Freiwilligkeit eine gesetzliche Regelung obsolet machen würde. Nun gibt es mittlerweile dennoch ein Gesetz, doch das nur als Randnotiz…

In diesem Kontext kam der Gewerbeverein Bornheim-Mitte e.V. in Frankfurt damals mit der Idee auf uns zu, kleine „Stationen“ zu entwickeln, die vor Geschäften entlang einer Einkaufsstraße platziert und mit gebrauchten (Papier)Taschen bestückt werden, die dann von Passantinnen und Passanten kostenfrei herauszunehmen sind, um sie beispielsweise zum Einkaufen zu nutzen. Aber nicht nur zur Entnahme, sondern auch zur „Befüllung“ sollten die sogenannten Taschen-Tausch-Stationen aufrufen. Denn wer findet zuhause nicht mindestens einen Stapel alter Tragetaschen, die ungenutzt weder der Umwelt noch uns etwas bringen?!

Zunächst gab es für die Idee kaum Budget, weshalb wir sie mithilfe einer Designerin sehr pragmatisch konzipierten und zunächst Hinweisschilder für den Taschen-Tausch auf einem "Wühlkorb" platzierten und weitere Werbemittel gestalteten.

Wie alles begann: Die ersten Taschen-Tausch-Stationen waren Wühlkörbe.
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Wie alles begann: Die ersten Taschen-Tausch-Stationen waren Wühlkörbe.

Nach einigen Jahren wurden Sollbruchstellen deutlich, sodass wir uns 2020 mit Produktdesignerinnen und -designern daran machten, die Taschen-Tausch-Stationen mit einem eigenen Wiedererkennungswert zu versehen, um die Funktionsweise intuitiver zu gestalten. 

Das hierfür zur Verfügung stehende Budget war zwar höher, trotzdem jedoch noch weit von dem entfernt, was eigentlich notwendig gewesen wäre, um ein zu 100 Prozent nachhaltiges Produkt zu entwickeln.

Die Stationen bestehen nun aus einer Eigenproduktion aus recycelbarem Stahl, der am leichtesten in eine "Wunschform" gebracht werden kann – die Botschaften "Reuse me" und das Symbol der Tasche sind in einem Wort-Bild-Design so miteinander verzahnt, dass die Funktionsweise leichter verständlich ist.

Neue Taschen-Tausch-Station in Frankfurt vor Michis Schokoaltelier.
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Neue Taschen-Tausch-Station in Frankfurt vor Michis Schokoaltelier.

Aus ökologischer Perspektive gibt es in puncto Material noch Luft nach oben. Doch einige von Ihnen werden es kennen: Im Operativen stehen Budget, Nachhaltigkeit des Materials und zuverlässige Lieferbeziehungen manchmal im Konflikt miteinander. In unserem Falle haben wir aktuell die beste Lösung realisiert.

Welches Produktdesign transportiert mein Nachhaltigkeitsthema am besten? – Beispiel Schaufensterausstellung "Fashion im Kiez"

Seit 2021 ist Frankfurt mit der "Frankfurt Fashion Week" dabei, das Thema Mode als Standortfaktor zu positionieren. Dabei ging oder geht es uns um die Frage, wie wir notwendiges Wissen über Kreislaufwirtschaft, Lieferketten und Arbeitsbedingungen oder auch über Umweltschutz in der Textilindustrie an diejenigen vermitteln, die sich nicht in der "Green Fashion"-Szene aufhalten.

Gemeinsam mit "UBERMUT" und dem "Frankfurt Fashion Movement", einem lokalen Modenetzwerk, entwickelten wir deshalb eine Schaufensterausstellung. Von Beginn an war klar, dass das Budget nicht für großartige Werbekampagnen ausreicht. Deshalb entstand die Idee, jene Orte zu nutzen, an denen sowohl Modeinteressierte als auch mit dem Thema gänzlich unberührte Personen in Verbindung kommen, ohne sich proaktiv dafür entscheiden zu müssen.

Sogenanntes "Nudging", also das bewusste Platzieren und Vorziehen nachhaltiger Angebote ist extrem wichtig. Schaufenster eignen sich dafür gut. Gleichzeitig schafft eine Ausstellung an den Orten, an denen Mode „greifbar“ bzw. verkauft wird, eine Brücke zum Thema und zieht Aufmerksamkeit an die Orte, an denen sich etwas bewegt – und in puncto Nachhaltigkeit weiterhin bewegen muss.

Schaufenster sind wetterfest, auf Frankfurter Einkaufsstraßen zentral gelegen und kostenfrei einsehbar – optimal also für unsere Idee der Schaufensterausstellung "Fashion im Kiez – Mode.Zukunft.Frankfurt."

Damit in diesem Rahmen auch Wissen vermittelt werden kann, setzten wir auf ein originelles Ausstellungsdesign: Fünf thematisch aufbereitete Module wurden auf Vliespapier im Origamistil jeweils zum einen in Form eines Kleidungsstückes und zum andern als großflächiges Plakat gedruckt. Beide Ausstellungsstücke wurden auf Kleiderstangen im Schaufenster angebracht. Auf eine Datierung haben wir verzichtet, so dass die insgesamt fünf Module jeweils wie eine Wanderausstellung von Einkaufsstraße zu Einkaufsstraße wandern können, ohne dass sie mittelfristig an Aktualität einbüßen. Sie kamen bereits zu beiden "Fashion Weeks" in Bornheimer und in Bockenheimer Modeläden zum Einsatz und informierten die Passantinnen und Passanten so über nachhaltige Modewirtschaft.

Blick in die Schaufensterausstellung „Fashion im Kiez – Mode.Zukunft.Frankfurt.“
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Blick in die Schaufensterausstellung „Fashion im Kiez – Mode.Zukunft.Frankfurt.“

Mit Ko-Kreation auf dem Weg zu einer Nachhaltigkeitskultur

Ob eine Ausstellung, eine Kunstaktion im öffentlichen Raum zur Fashion Revolution Week, Taschen-Tausch-Stationen, eine Mehrwegkampagne mit künstlerischer Intervention, Storytelling zu nachhaltigen Lieferketten oder Erklärfilme für Sportvereine zu Klimaanpassung, wie wir sie im Projekt KlimASport entwickelt haben – wichtig ist, sich neben den Inhalten Gedanken über den finanziellen Rahmen, die Zielgruppe und die räumliche Verordnung zu machen und dann mit Kunstschaffenden, Mediengestalterinnen und/oder Designerinnen und Designern in den Dialog zu treten. Dabei ist der ko-kreative Entwicklungsprozess bereits enorm wichtig für die Aussagekraft der Botschaft an sich.

Kreativschaffende stellen andere Fragen als "wir Nachhaltigkeitsschaffenden", sie legen teilweise den Finger in die Wunde, die viele Umweltexpertinnen und -experten gerne ignorieren. Denn um Nachhaltigkeit zu vermitteln, reicht Wissen allein nicht aus.

Wir müssen uns raus aus der "Ökoblase" trauen, um die Gesellschaft zu erreichen. Wir müssen undogmatische Formen finden und Spannungsfelder aushalten (Materialkosten versus Materialökobilanz versus beste Lösung, um Idee zu transportieren). Wir alle befinden uns in einer nachhaltigen Entwicklung, nicht im perfekten Endzustand.

Dabei sind Erkenntnisse und Fragen im Entstehungsprozess sowie Kompetenzen aus der Kreativwirtschaft für Bildungsarbeit – unserer Meinung nach auch für Politik und Wissenschaft – essenziell, um einen wirklich kulturellen Wandel zu gestalten.

Wie schnell dieser Wandel gelingt, hängt maßgeblich davon ab, wie mutig wir alle sind: Sind wir mutig genug, andere Verhaltensmuster so lange zu üben, bis sie sich gewohnt anfühlen? Sind wir mutig genug, auch unbeliebte Entscheidungen zu treffen? Sind wir mutig genug, Kreativität, innovative Denkansätze und somit auch eine neue Fehlerkultur als handlungsleitend zu verstehen?

Nur so werden wir es schaffen, dass Nachhaltigkeit auf Dauer nicht nur theoretisch in Hessens Verfassung verankert ist, sondern auch im Herzen unserer hessischen Kultur.

Hilfreiche Tipps:

  • Wer gerne mehr Durchblick in Bezug auf Siegel und einfache Nachhaltigkeitsfragen im Alltag hätte, findet sie wahrscheinlich auf dem Portal „Nachhaltiger Warenkorb“.
  • Was passiert eigentlich alles in Hessen? Das Portal „Hessen nachhaltig“ zeigt Bildungsprojekte, Politik und Unternehmen, die sich engagieren.
Marlene Haas
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Marlene Haas

Geschäftsführerin der Lust auf besser leben gGmbH

Marlene Haas führt gemeinsam mit Dr. Alexandra von Winning die Geschäfte der Lust auf besser leben gGmbH, die sie 2014 gegründet hat. Die Arbeitsschwerpunkte der gelernten Veranstaltungskauffrau sind nachhaltige Quartiersentwicklung sowie innovative Projektformate und Kampagnen.

Die Arbeit mit Kleinunternehmen im Bereich nachhaltiges Wirtschaften liegt ihr seit 2014 am Herzen – damals wurde sie zur jüngsten Vizepräsidentin Deutschlands der IHK Frankfurt gewählt und baute das Kompetenzzentrum Nachhaltigkeit auf.


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Lust auf besser leben gGmbH

Wir möchten die globalen Nachhaltigkeitsziele bis 2030 alltagstauglich machen. Deshalb fördern wir als gemeinnütziges Unternehmen aus Frankfurt am Main Bildungskampagnen, eine Nachhaltigkeitsplattform und Projekte zu Themen wie Ressourcenschutz, Inklusion oder Klimaanpassung.

Mit "Good Growth" – unser Beratungs- und Bildungsportfolio für kleine und mittlere Unternehmen, Kommunen und Großunternehmen – legen wir einen besonderen Schwerpunkt auf die Erstellung von Klimabilanzen, Nachhaltigkeitsberatung, Berichterstattung und Beteiligungsprozesse.

https://www.lustaufbesserleben...

Veröffentlicht: 14.06.2022


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